Interview: 90 Minuten mit Paul Stalteri
16.04.13 | von MaxUnknown | Kategorie: Spieler | Ein KommentarAm 20. März beendete Ex-Werderaner Paul Stalteri im Alter von 35 Jahren seine Fußballerkarriere. Sein letztes Pflichtspiel lag da schon einige Zeit zurück: am 8. November 2010 lief er letztmals auf, für Kanada beim 2-2 gegen die Ukraine. Fast genau ein Jahr zuvor absolvierte Stalteri sein letztes Ligaspiel, in der Bundesligabegegnung der beiden Borussias, Gladbach gegen Dortmund. Verletzungen waren der Grund, warum die letzten Jahre nicht mehr so erfolgreich verliefen wie seine beste Zeit, beim SV Werder Bremen. Erst behinderte ihn eine Innenbandverletzung, gefolgt von Hüftproblemen, die zwei Operationen nach sich zogen und ihn bis Mitte letzten Jahres ausfielen ließen.
Nun ist es offiziell vorbei. Das, was als erfolgreichste Karriere eines kanadischen Fußballers in den Geschichtsbüchern steht. Rekordnationalspieler seines Landes mit 84 Partien (7 Toren) und der beeindruckenden Statistik, in allen Partien nach seiner ersten Einwechslung in der Startelf gestanden zu haben. 30 Spiele absolvierte er als Kapitän des Teams. Für Werder absolvierte er 151 Bundesligaspiele (6 Tore) sowie insgesamt 270 Pflichtspiele (17 Tore), davon die ersten 2,5 Jahre in der Regionalliga bei Werders Amateuren.
Im Januar 1998 kam der damals 20jährige von Toronto Lynx zum SV Werder, feierte im Sommer 2000 sein Bundesligadebüt, holte 2004 das Double und verließ den Verein dann im Folgejahr, um zu Tottenham nach England zu wechseln. Dreieinhalb Jahre blieb er in England, spielte dort auch noch für Fulham, bevor er zu Jahresbeginn 2009 nach Deutschland zurückkehrte und zu Borussia Mönchengladbach wechselte. Sein letzter Profiverein.
Aber Gladbach, Fulham oder Tottenham sind egal. Reden wir lieber über Werder. Über wirklich gute Zeiten, den wohl größten Erfolg des Vereins und die von vielen als beste Mannschaft der Vereinsgeschichte gefeierte Truppe, dessen Teil Stalteri war. Ein sehr wichtiger, wie auch Ex-Kollege Ailton im Worum-Interview betonte. Der Kugelblitz bezeichnete Stalteri und auch Ümit Davala als “Personen, die die Mannschaft zusammengebracht haben”.
Zusammenhalt, Einstellung, die passende Mischung einer Mannschaft. Punkte, auf die der 35jährige Kanadier Stalteri im Verlauf des Gespräches intensiv eingeht. Auf englisch, denn obwohl er deutsch ziemlich gut beherrschte fehlte ihm in den letzten Monaten das Training. So aber kommt er nicht nur schnell ins Reden, sondern beweißt auch eine gute Erinnerung an die Werderzeit und scheint das Besprechen einiger großer Momente im Verlauf des Gespräches mehr und mehr zu genießen. Am Ende unterhielt man sich zwei Halbzeiten lang, genau 90 Minuten.
Worum.org: Die Karriere ist offiziell beendet, wie fühlt sich das an, sich keine Gedanken mehr über das Fußballspielen zu machen, das Kapitel endgültig abgeschlossen zu haben?
Paul Stalteri: Nun, ich war in einer Situation, wo ich lange, lange Zeit hatte, mir das zu überlegen. Natürlich auch, weil ich einen Abschnitt mit zwei Operationen hinter mir hatte. Am Anfang dachte ich nur daran, wieder fit zu werden. Nach circa 14 Monaten Reha fühlte ich mich dann auch wieder sehr gut und so fit, wie ich mich seit Langem nicht mehr gefühlt hatte. Ab da war ich wieder darauf eingestellt, einen neuen Verein zu suchen, eine gute Option für mich zu finden. Doch leider ergab sich keine solche Möglichkeit, kein verlockendes Angebot, den Schritt, wieder zu spielen, zu machen.
In meinem Alter schaut man dann auch anders auf die ganze Situation – und so haben wir dann den Entschluss gefasst, dass es das Beste ist, aufzuhören. Und ich kann Dir durchaus sagen, dass es sich gut anfühlt, ich bin absolut zufrieden mit meiner Karriere, ich habe nichts zu bereuen. Zurückschauend ist da auch nichts, wo ich sage, dass ich das hätte anders, besser machen können oder gar sollen. Als ich im Alter von 20 Jahren nach Deutschland kam, konnte ich mir nicht mehr erträumen als den Erfolg, den ich letztendlich in meiner Laufbahn hatte. Wirklich nicht. Daher bin durchaus zufrieden mit meiner Karriere.
Es gab also keine spezielle Verletzung, die Dich von einer Rückkehr auf den Platz abgehalten hat?
Nein, definitiv nicht. Die Verletzungen sind zu 100 Prozent ausgeheilt, die zwei Operationen verliefen sehr gut. Die Rehadauer war von vornherein zwischen 12 und 14 Monaten angesiedelt, wir waren absolut im Zeitplan, sehr zufrieden mit dem Verlauf. Wie gesagt, ich fühle mich sehr gut. Deswegen brauchte ich auch so lange für die endgültige Entscheidung, die Schuhe an den Nagel zu hängen. Einfach, weil mein Körper sich besser, stärker anfühlte, wie schon lange nicht mehr. Ich fühle mich wieder komplett hergestellt, konnte mein Training einwandfrei absolvieren.
Das war der einzige Grund, warum es mit der Entscheidung länger dauerte. Manchmal denke ich, dass es sicher einfacher gewesen wäre, wenn es nach einer OP nicht mehr so rund läuft, wenn man sich nicht mehr fit fühlt. Die Entscheidung, die Karriere zu beenden, fällt leichter, wenn du weißt, dass dein Körper einfach nicht mehr bereit ist für den Leistungssport. Aber das war bei mir nicht der Fall. Ich fühlte mich sehr gut, ich gab dem Ganzen etwas mehr Zeit, bevor ich dann am Ende meinen Entschluss fasste.
Gab es denn Angebote? Oder war einfach nur nicht das passende Angebot dabei?
Letzteres, die Anfragen waren einfach nicht reizvoll genug. Ich fühlte mich wieder bereit, wollte aber auch nichts riskieren, außer es gäbe eben eine wirklich gute Möglichkeit, wieder auf höchstem Niveau zu spielen. Oder in einem der Länder mit den stärksten Ligen. Ich war nicht bereit, in tieferen Ligen zu spielen, in kleineren Fußballländern. Das hatte mehrere Gründe, natürlich gehörte ein möglicher Umzug der Familie dazu. Man kann sagen, dass ich schon etwas wählerisch war, in welche Ligen, in welche Länder ich gegangen wäre.
Ich fühlte mich gut, daher wollte ich nochmals in eine starke Liga, in ein fußballbegeistertes Land. Das passende Angebot war aber einfach nicht dabei, und irgendwann trifft man dann eine Entscheidung, wie es weitergehen soll.
Und das Spielen in unteren und auch nicht so starken Ligen war dann für Dich keine Option? Der Ailton-Weg, Hauptsache weiterzuspielen, hatte keinen Reiz?
Auch als ich noch topfit und am Beginn meiner Karriere war, dachte ich nie daran, später mal meine Karriere in den dritten oder vierten Ligen fortzusetzen. Das ist auch nicht respektlos denjenigen gegenüber gemeint, die sich dazu entschieden haben, nach einer Laufbahn in den Topligen der Welt dann unterklassig ihre Karriere ausklingen zu lassen. Das ist nur einfach nichts für mich.
Ich habe in der Regionalliga bei einer zweiten Mannschaft in Deutschland meine Profizeit begonnen, in Bremen. Dann kam der Aufstieg in die höchste Spielklasse. Und da ich in zwei Ländern so lange in den höchsten Ligen gespielt hatte, wäre höchstens noch die jeweilige Liga unter der Bundesliga und Premier League überhaupt okay gewesen. In anderen zweiten oder zweitklassigen Ligen, insbesondere außerhalb Deutschlands und Englands wollte ich nicht spielen. Das sah ich einfach als Situationen, in denen ich mich nie befinden wollte, wenn ich 35, 36 Jahre alt bin und dann in solchen unterklassigen Ligen auflaufe. Für mich war es jetzt einfach so, dass ich mich bereit fühlte, etwas anderes zu machen. Im Fußball oder im Leben überhaupt.
Dein Karriere-Ende bringt auch etwas Kurioses mit sich. Du bist Rekordnationalspieler Kanadas, hast aber nie in der höchsten Spielklasse, der Major League Soccer, gespielt. Gab es nie Kontakt zu einem MLS-Team oder gar zum Verein Deiner Heimatstadt, Toronto FC?
Um ehrlich zu sein, da gab es nie wirklich konkrete Gespräche. Auf jeden Fall nicht mit dem Klub meiner Heimatstadt, mit keinem kanadischen Verein. Ich war aber auch nicht wirklich auf dem Markt für so was. Wäre ich das gewesen, dann hätte sich wohl schon etwas ergeben. Zu den kanadischen Klubs gab es aber wirklich keinen Kontakt, auch nicht nach der Verletzung, wo es durchaus lockere Gespräche mit MLS-Mannschaften gab, aber eben den nicht-kanadischen.
Kommen wir mal genauer auf Deine Heimat, Deinen aktuellen Wohnort und den dortigen MLS-Verein zu sprechen. Gibt es Interesse von Deiner Seite, nach dem jetzigen Karriere-Ende für Toronto FC zu arbeiten? Als Trainer, Scout, im Management?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Sie haben auch erst dieses Jahr den Trainer ausgetauscht, die Klubstrukturen verändert. Relativ neu ist auch der Präsident, wobei man ihn in Deutschland wohl eher aufgrund seiner Aufgaben als Sportdirektor bezeichnen würde. Hier sagt man da meist General Manager, er hat auf jeden Fall jetzt das Sagen beim TFC. Die Trainerwahl war seine, weil er ihn persönlich schon kannte, auch der Trainerstab wurde entsprechend angepasst.
Ich lebe wieder in Toronto, möchte daher nichts ausschließen. Man weiß nie, was in Zukunft passiert, welche Posten der Klub irgendwann neu besetzen möchte. Aber es ist derzeit nichts, dem ich nachgehe, was ich vorhabe. Ich habe auch keinerlei Gespräche über einen Posten mit dem Verein geführt. Es ist aber, wie schon gesagt, so, dass man nie weiß, was alles passieren kann. Das wird sich zeigen, ob es in Toronto oder auch einem anderen kanadischem Klub dann irgendwann Möglichkeiten geben wird, die für mich interessant sind.
Es geht mit den TFC-Fragen weiter und weiter. Hast Du Torsten Frings denn während seiner Zeit beim Klub in Toronto mal getroffen?
Nein, und das ist wirklich komisch gelaufen. Als wir zurück nach Toronto gezogen sind, verletzte Torsten sich gerade und flog dann zurück nach Deutschland für den Rest der Saison. Ich glaube, da war nur knapp eine Woche zwischen unserem Umzug und seiner Hüftoperation und der Abreise nach Deutschland. Als er wiederkam, ging es dann direkt weiter zur Reha nach Florida für längere Zeit. Seit der Bekanntgabe seines Karriere-Endes ist zwar einige Zeit vergangen, aber wir haben es nicht wieder geschafft, Kontakt herzustellen. Ich weiß auch nicht, ob er derzeit überhaupt noch in Toronto oder schon wieder nach Deutschland abgereist ist. Auch wenn ich jetzt schon wieder einige Zeit hier wohne und er hier gespielt hat, waren wir kurioserweise nie am selben Ort, haben uns noch nicht gesehen.
Torontos Manager sagte, dass Torsten es liebte, Freunde zu den Basketball-, Baseball- und Eishockey-Spielen in Toronto mitzuschleppen. Bist Du auch so sportbegeistert, gibt es bei Dir mehr als nur Fußball?
Wir wohnen jetzt wieder in Toronto, leben uns aber immer noch ein. Es gibt hier sehr viele Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Man muss aber auch die Zeit für all das finden. Ich habe Familie, mache viel mit den Kindern. Fußball ist weiterhin mein Sport. Auch der Sport, wo ich mich auf dem Laufenden halte. Wie auch während meiner Karriere habe ich ein Auge auf Basketball, interessiere mich auch ein bisschen für Eishockey. Und natürlich Golf. Eine interessante Sportart, ein großes Hobby von mir. Aber über dem allen bleibt der Fußball.
Und Du sagst weiterhin „Football“ und nicht „Soccer“…
Ja, ich sage das andauernd. Und hier erregt das manchmal die Gemüter, aber für mich ist und bleibt das die passende Bezeichnung. Wenn ich „Soccer“ in einen Satz einbaue, fühlt sich das komisch an, es klingt irgendwie seltsam. Auch jetzt, obwohl ich schon wieder einige Zeit in Kanada bin, hat das immer noch einen sehr merkwürdigen Klang. Ich habe auch schon „Football“ gesagt, bevor ich nach Europa gewechselt bin. Auch, wenn ich darüber gesprochen habe. Ich mag einfach, wenn man sagt, dass jemand ein guter „Footballer“ ist, nicht ein guter „Soccer player“.
Fußball ist in Kanada nicht so verbreitet, was lief denn eigentlich schief, dass Du kein Eishockeyspieler wurdest?
Der naheliegendste Grund dafür sind die Kosten, Eishockey ist ein sehr teurer Sport. Ich sehe das aktuell bei meinem Sohn, der Fußball liebt, aber mittlerweile auch Eishockey. Weil er spielen will und ich ihm das ermöglichen möchte, erfährt man aus erster Hand, wie kostspielig der Sport ist.
Und als ich aufgewachsen bin, da hatte ich wie meine beiden Brüder Interesse an Eishockey, aber es war einfach zu teuer, drei Kinder in dem Sport zu haben. Daher ging es für uns schon früh Richtung Fußball. Wir blieben dann auch dabei, beim günstigeren Sport. Fußball ist auch heute noch finanziell weit unter Eishockey anzusiedeln, auch wenn es, als ich jung war, noch deutlicher war. Da war die Spanne noch weiter auseinander. So einfach war das damals. Und ich kann das heute gut nachvollziehen, gerade, wenn man drei Kinder hat, das kostet dich ordentlich. Pro Saison 15.000 bis 20.000 Dollar, nur damit die Kinder Eishockey spielen können. Das ist beinahe unmöglich zu finanzieren, wenn man mehr als ein Kind in dem Sport hat, es sei denn, dass man ziemlich viel Geld besitzt.
Also hast Du einen Sohn, der derzeit sowohl Fußball als auch Eishockey spielt?
Ja, er ist aber noch sehr jung. Er ist erst vier, wird fünf im Sommer. Aber wir hatten ihn schon in Schlittschuhen und er war im Winter in einem Eishockeycamp, das hat ihm sehr gefallen. Und Hallenfußball hat er gespielt, was ihm ebenfalls sehr gefallen hat. Jetzt wird er draußen gegen den Ball treten und vielleicht auch weiterhin Eishockey spielen, das will er schon auch noch dazu. Wir werden sehen, wie sich das bei ihm entwickelt.
Meine Tochter spielt mittlerweile ebenfalls Fußball. Dieses Jahr das erste Mal, vorher hatte sie nie sonderlich großes Interesse. Aber das ist nach und nach größer geworden, und für den Sommer haben wir sie in einem Verein angemeldet. Im Winter hat sie ein bisschen gespielt, jetzt geht es zum ersten Mal in den Fußballverein. Die Kinder halten mich also auch, was den Sport angeht, auf Trab.
Ich wollte Dich gerade fragen, was Du für die Zukunft geplant ist, was Du in der freigewordenen Zeit machen willst, aber Deine Kinder scheinen Dich ganz schön zu fordern.
Ja, das tun sie. Sie halten mich zwar auf Trab, aber ich plane schon noch andere Dinge. Ich möchte auf jeden Fall meine Trainerlizenz machen. Da informiere ich mich gerade, wie, wann und wo ich das machen kann. Derzeit weiß ich noch nicht, ob ich dann in den Trainerjob einsteige, ob ich diesen dann auch länger ausüben werde, aber ich denke, dass ich auf jeden Fall irgendwie im Fußball involviert sein werde. Ob das dann als Trainer im Profibereich, im Jugendbereich oder auf einem Posten im Management sein wird, bleibt abzuwarten. Aber es ist auf jeden Fall von Vorteil, die Trainerlizenz zu haben, von daher wird das mein erster Schritt sein.
Ab nächsten Monat werde ich dann auch über den Sommer in einem Verein hier mithelfen, der eine gute Jugendmannschaft hat. Ich freue mich schon darauf. Und gerade, weil es etwas ganz Anderes ist, als zu spielen, halte ich es für eine gute Idee, zuerst in einem Nachwuchsteam mit jungen Talenten erste Erfahrungen im Trainerbereich zu sammeln.
Ich halte mich auf Trab, habe zudem auch noch andere geschäftliche Dinge, um Die ich mich kümmere. Einfach ein paar Sachen, die ich vorausschauend auf mein Karriere-Ende in die Wege geleitet habe, ein paar Ideen umsetzen, die sich über die Jahre angestaut haben. Das kostet auch Zeit.
Also wirst Du für die nächsten Jahre in Toronto leben?
Wir hatten letztes Jahr die Situation, dass wir hier Urlaub gemacht hatten, und als wir im Sommer dann noch mal hierher kamen, sind wir am Ende geblieben. Diese Entscheidung haben wir dann getroffen, unseren Hausstand nachgeholt. Wir fühlen uns hier wohl, die Kinder sind glücklich, es läuft in der Schule. Daher gibt es derzeit keine Gedanken daran, wieder wegzuziehen.
Trotz allem gilt, wenn man weiter im Fußballgeschäft bleibt, dass man nie weiß, was in der Zukunft dann alles passieren kann. Man weiß nie, was auf einen zukommt. Aber es gibt, wie gesagt, keine Pläne, Toronto wieder zu verlassen, wir haben uns hier jetzt niedergelassen, eingelebt und wollen hier bleiben.
Gibt es noch jemanden aus Deiner Werderzeit, mit dem Du Kontakt hast?
Ja, ich bin noch mit einigen Leuten in Kontakt. Auch mit welchen, die derzeit eine Rolle im Verein haben, wie Marco Bode. Ebenso Frank Baumann, auch Thomas Schaaf gehört dazu. Und dann natürlich Freunde aus der Zeit, Spieler, mit denen ich zusammengespielt habe, die nun aber nicht mehr im Verein sind.
Verfolgst Du auch die Ergebnisse des Vereins, wie sich die Mannschaft macht?
Ich verfolge das Geschehen regelmäßig. Es gibt einen Fernsehsender, der am Wochenende deutschen Fußball zeigt. Meist zwei, aber auch mal drei oder vier Spiele. Freitag, Samstag, sogar mal sonntags. Es gibt hier in Kanada also einen Kanal, der eine gute Berichterstattung übe die Bundesliga bietet, und ich schaue, ehrlich gesagt, ziemlich oft Spiele. Daher habe ich Bremen auch diese Saison spielen gesehen, sogar sehr oft. Gerade, was die Bundesliga angeht, halte ich mich auf dem Laufenden. Und Bremen ist natürlich eine der Mannschaften, die mich am meisten interessieren. Okay, es ist DIE Mannschaft, die mich am meisten interessiert. Ergebnisse, Nachrichten, das schaue ich schon ziemlich regelmäßig.
Dann frage ich natürlich jetzt, was Du von der derzeitigen Entwicklung hältst. Du wirst sicher wissen, dass es derzeit nicht allzu viele Punkte bis zum Relegationsplatz sind?
Ja. Ich dachte, dass sich die Mannschaft zum Start der Rückrunde mit den zwei Siegen weit genug von den Abstiegsrängen entfernt hätte, aber dann kamen ein paar schlechte Resultate, es kam eine Schwächephase. Und da ist es nicht so leicht herauszukommen. Hoffentlich gewinnen sie ein, zwei Partien in den jetzt anstehenden Spielen, um den Abstand auf den Relegationsplatz wieder auszubauen.
Die knappe Heimniederlage gegen Augsburg mit anzusehen, war schon schwer. Anstatt dann den Abstand zwischen den beiden Vereinen zu vergrößern, wurde es auf einmal wirklich wieder knapp. Daher wäre es schon gut, wenn die Mannschaft sich jetzt wieder einen kleinen Lauf erarbeitet, langsam wieder die Form und das Selbstbewusstsein in die Truppe bekommt. Ich dachte wirklich, dass sie das bis dahin okay gemacht haben, aber dann fielen sie in ein Loch, aus dem sie jetzt wieder hinaus müssen.
Natürlich sieht man, dass die Mannschaft nicht auf dem Niveau agiert, auf dem sie sechs, sieben Jahre lang gespielt hat. Da war sie wirklich sehr gut. Jetzt dürfte es ein bisschen Zeit brauchen, ein paar weitere Neuzugänge, um sich dieser Zeit wieder anzunähern. Werder wurde da als eine der attraktivsten Mannschaften gesehen, eine Mannschaft, die man sich Woche für Woche ansehen musste. Das war unterhaltsam, wie wir zu den Toren gekommen sind, welches Tempo wir gegangen sind.
Ich denke und hoffe, dass man wieder eine starke Mannschaft aufbauen kann. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, das wird noch etwas Zeit beanspruchen. Die jetzige Mannschaft ist sehr, sehr jung, das bringt schon mit sich, dass da Zeit benötigt wird. Hoffentlich läuft die Entwicklung gut. Ich schaue mir das aus der Ferne an und möchte Werder natürlich wieder in der anderen Tabellenhälfte sehen – nicht mehr der unteren.
Reden wir besser über die guten Zeiten, die Du gerade erwähnt hattest. Als Du 2005 den Verein verlassen hast, war im Nachhinein zu hören, dass der Verein sich auf den Außenverteidigerpositionen verbessern wollte, von Champions League-Tauglichkeit war die Rede. Hast Du so etwas in den Gesprächen zu hören bekommen, gab es konkrete Gespräche über eine Verlängerung, ein Angebot?
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass so etwas jemals erwähnt wurde. Wir hatten Gespräche über eine Vertragsverlängerung, im Verlauf der Saison saßen wir einige Male zusammen. Und ich hatte auch ein Angebot von Werder für eine Verlängerung. Die genannten Gründe waren nie Thema, ich saß mit Klaus und Thomas wirklich nicht selten zusammen, wir haben da konkret über die Zukunft gesprochen. Sie wussten, wenn ich Bremen verlasse, dann mit ziemlicher Sicherheit nur für die Premier League. Ich mochte die Liga schon immer, wollte dort spielen.
Das Ganze hatte auch nichts mit den Finanzen zu tun. Auch nicht mit der Vertragslänge oder sonstigen Inhalten. Da waren wir uns grundsätzlich einig. Es ging einzig darum, ob ich in Bremen bleibe oder nach England gehe. Wenn ich in Deutschland geblieben wäre, dann nur in Bremen.
Es war eine Situation, die wir ganz offen und ehrlich gehandhabt haben. Ich habe sie auf dem Laufenden gehalten, sie waren immer informiert, wie es aussieht. Es lag nicht am fehlenden Angebot, an Uneinigkeit bei den Verhandlungen, sondern nur, ob ich eine neue Herausforderung annehme. Ich war zu der Zeit 27 und wusste, dass ich bei einer Verlängerung bei Werder vielleicht nie mehr die Möglichkeit bekommen würde, in England zu spielen. Jetzt oder nie. Und so traf ich dann die schwere Entscheidung, nach siebeneinhalb fantastischen Jahren den Verein zu verlassen. Das war eine gute überlegte, aber sicher nicht einfache Entscheidung.
Du wolltest schon immer in England spielen – war das dieser typische Traum der meisten nordamerikanischen Spieler? Da hört man ja oft, dass sie in England, in der Premier League spielen wollen. War das bei Dir auch so, lieber Premier League statt Bundesliga?
Nein, ich denke nicht. Um ehrlich zu sein, war die Premier League doch zweifellos damals die beste Liga in Europa. Da gibt es nichts zu diskutieren. Aber es war kein Lebenstraum von mir, dort zu spielen. Als ich aufgewachsen bin, gab es generell nicht diese Berichterstattung über die europäischen Fußballligen, wie es heute in Nordamerika der Fall ist. Aktuell kannst du hier beinahe jede Liga anschauen, über die Topligen wird berichtet, es werden viele Spiele übertragen. Mit dem Internet an sich, dem Streaming, der ganzen neuen Technologie und den neuen Medien kannst du ja mittlerweile jedes Spiel, jede Mannschaft so gut verfolgen wie nie zuvor.
Zu meiner Zeit war es nicht so, aber den englischen Fußball schaute ich schon gerne, wenn es möglich war. Der Spielstil, die Geschwindigkeit, die Stadien, die Fans sowie die Leidenschaft der Fans. Ähnlich war und ist es mit Deutschland, eines der wenigen Länder, in denen jede Woche die Stadien voll sind, wo jeder Verein viele Fans, großen Support hat. Nicht nur in der ersten Liga, sondern im ganzen Land. In Deutschland wie in England.
Und zu dem Zeitpunkt, als ich gewechselt bin, brauchte man nicht darüber zu diskutieren, ob die Premier League jetzt die stärkste Liga Europas war oder nicht. Die damals wohl vier besten Klubs in Europa kamen allesamt aus England. Die Liga war sehr sehr stark, was letztendlich der ausschlaggebende Punkt war, zu wechseln. Um in der damals besten Liga Europas, der Welt zu spielen.
Wenn man jetzt die Situation betrachtet, ist es beinahe umgekehrt, wo ich sagen würde, dass die Bundesliga mindestens gleichauf mit der englischen Liga ist. Wenn ich gefragt werden würde, wie heute die Qualität der Ligen ist, sehe ich die Stärke sogar eher auf der anderen Seite, der deutschen Liga. Anders als vor acht, neun oder zehn Jahren.
Was macht für Dich den Unterschied zwischen Bundesliga und Premier League aus? Lukas Podolski sagte kürzlich, dass das Spiel in England intensiver, ein bisschen schneller ist. Ist es das?
Ich denke, der Unterschied beginnt auch ein bisschen bei den Zuschauern. Auch wenn es von den Stadien her vergleichbar ist, in beiden Ligen sind sie meist voll, mittlerweile in Deutschland an sich sogar etwas größer. In England waren die Fans noch etwas ausgelassener, „intensiver“ könnte es auch da gut treffen. Da war eine große Begeisterung auf den Rängen, die kamen richtig in Fahrt, und sehr viele haben einfach eine unglaubliche Liebe für den Verein. Einfach noch einen Tick mehr als in Deutschland, auch wenn dort die Stadien Woche für Woche voll sind, die Anzahl der Zuschauer und Fans riesig ist. Die Fankultur, die Unterstützung habe ich etwas anders wahrgenommen.
Was das Fußballerische angeht, ist es das Tempo des Spiels, es ist etwas schneller in England. Auch die Physis spielt eine andere Rolle. Aber, wie schon erwähnt, ist das, wenn man sich heute die Spiele anschaut, eher ein Unterschied in der Spielweise, kein Argument für Qualität. Die Geschwindigkeit ist eine Sache, aber wenn die Qualität nicht ebenso da ist, macht das einen Unterschied. Und ich denke nicht, dass sie noch so vorhanden ist, wie vor acht, neun Jahren.
Es ist also vielleicht einfach spektakulärer für die Fans anzuschauen, aber nicht mehr auf dem Qualitätsniveau von früher?
Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber ich habe definitiv den Eindruck, dass die Qualität nicht mehr so wie früher ist. Was die Premier League sehr gut kann, ist, die Liga zu vermarkten, das Produkt perfekt zu verkaufen. Besser als wohl jede andere Liga dieser Welt. Aber, wie Du schon andeutest, der Schein kann trügen, ich denke, das Gesamtprodukt ist nicht mehr auf dem Stand wie Jahre zuvor. Es ist doch, glaube ich, das erste Jahr seit, ich kann mich nicht erinnern, 15 Jahren? Ich meine, ich habe zuletzt gehört, dass es das erste Mal seit 15 Jahren wieder ein Viertelfinale in der Champions League gibt, das ohne englische Vereine stattfindet. Eine verdammt lange Zeit. Und in der hatten sie ja Jahre wie 2004 oder 2005, wo es keine Überraschung war, wenn sie drei von vier Mannschaften in den Halbfinalen stellten. Und wenn man das im Vergleich zu heute sieht, gibt es da nichts zu bestreiten, die Fakten lügen nicht. Die Liga ist nicht mehr so gut, wie sie einmal war. Natürlich kann der Spielstil, das gelegentliche fantastische Tor dann das Gesamtprodukt Premier League besser aussehen lassen, als es ist. Wenn ich sie mit der Bundesliga heute vergleichen müsste, dann kann man mir nur schwer klar machen, dass die deutsche Liga der englischen derzeit nicht leicht voraus ist.
Dann machen wir jetzt einen abrupten Themenwechsel, um uns von den Engländern zu verabschieden. Als Du in Bremen als Außenverteidiger gespielt hast, gab es immer wieder neue Konkurrenz für Dich, aber am Ende hast trotzdem immer Du auf dem Platz gestanden. Wie kam es dazu? Wie kamst Du mit den ständig neuen Konkurrenten zurecht?
Man muss akzeptieren, dass der Verein immer wieder neue Spieler holt, um Konkurrenz innerhalb der Mannschaft zu haben. Heutzutage will jeder Klub 22 Spieler haben, jede Position mindestens doppelt besetzen, gesunden Konkurrenzkampf erzeugen. Das gehört dazu, das musst du akzeptieren. Und du musst mental stark genug sein, zu akzeptieren, dass ein Neuzugang in den Augen des Vereins, der Medien oder auch der Fans zu Beginn dann als erste Wahl auf deiner Position gesehen wird. Er ist eben der Neuzugang, es hat einen Grund, warum er geholt wurde. Aber man muss darüber hinwegkommen und dann beispielsweise in der Sommervorbereitung gleich aufzeigen, was man kann. Dem Verein aufs Neue beweisen, dass das, was er hat, besser ist, als das, was er neu in die Mannschaft bringt. Man muss sich immer wieder neu beweisen.
Auf Profiniveau, auf diesem Level muss man einfach in der Lage sein, ständig wieder aufzeigen zu können, dass man erste Wahl für seine Position ist. Falls du auch nur für einen Moment denkst, dass du nicht mehr hart dafür arbeiten musst, dass du dich nicht immer wieder beweisen musst, dass das, was du bereits gezeigt hast, reicht, dann beginnt mit dem Gedanken bereits das Scheitern. So gelingt dir keine erfolgreiche Saison, ab dann spielt deine Konkurrent an deiner Stelle. Man muss stark sein, mental sehr stark, um immer wieder neue Hürden zu überwinden, um gegen jegliche Konkurrenz um die Positionen innerhalb der Mannschaft zu bestehen.
Du warst sehr variabel einsetzbar, konntest defensiv wie offensiv Aufgaben erledigen. Was es nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch, dass Du selten eine Position für lange Zeit bekleiden konntest?
Zurückblickend muss ich sagen, dass mir sehr viele Leute diese Frage gestellt haben, wie ich darüber denke. Ganz ehrlich, das war gerade zu Beginn meiner Karriere fraglos eine Situation, von der ich sehr profitiert habe, dass ich nicht nur eine Position spielen konnte. Wenn du mehrere Positionen bekleiden kannst, ist es eine andere Ausgangslage, denn es kann passieren, dass auf deiner angestammten Position jemand gerade in Topform ist und du einfach nicht an ihm vorbeikommst. Da ist ziemlich schnell dann die halbe Saison bereits gelaufen, und man hat noch keine Spielminute gehabt, weil der direkte Konkurrent durchgehend in guter Form ist.
Das war zweifellos zu Beginn sicher ein Vorteil, weil ich spielen konnte und von Thomas das Vertrauen auf mehreren Positionen, wo er mich gerade benötigte, bekam. Es war eine gute Erfahrung, denn ich habe im Verlauf meiner Karriere viele Positionen spielen dürfen, dadurch konnte ich diese Positionen, das Spiel an sich, die Rollen der Spieler, einfach besser verstehen. Sicher besser, als in meiner Karriere nur auf einer Position aufgelaufen zu sein.
Das wird mir wahrscheinlich später im Bereich des Trainers oder im Management auch zu gute kommen. Daran denkt man natürlich nicht, wenn man als Spieler unterwegs ist, aber es half auch da bereits auf die schon erwähnte Weise. Ungefähr im Alter von 26, 27 Jahren war ich dann ja als Außenverteidiger doch in einer festen Rolle angekommen, egal, ob ich dann links oder rechts spielte. Im Nationalteam spielte ich noch einige Male im Mittelfeld, aber eigentlich war ich von da an Außenverteidiger für den Rest meiner Karriere.
Aber als Du nach Bremen in die zweite Mannschaft wechseltest, warst Du offensiver Mittelfeldspieler, richtig?
Richtig, aber mein erstes Bundesligaspiel war als Stürmer, ganz vorne drin. Ailton war verletzt, also spielte ich vorne zusammen mit Claudio an dem Tag gegen Cottbus. Und ich meine, dass ich sogar einen Großteil meiner Spiele in der Saison zwar nicht direkt vorne als Stürmer, aber meist als offensiver Mittelfeldspieler absolviert habe, nur wenige Spiele defensiv, links oder rechts hinten. Auch während meiner Entwicklung in Kanada habe ich weitaus mehr Spiele in einer offensiven als in einer defensiven Rolle absolviert.
Kannst Du Dich noch an die Situation erinnern, als Dir von Thomas Schaaf erklärt wurde, dass er Dich nun mehr und mehr defensiv einsetzen will?
Ich habe schon bei der U20-Weltmeisterschaft für Kanada auf der rechten Seite gespielt. Wir hatten mehrere gute Stürmer, der Trainer wollte mich aber trotzdem ebenfalls aufstellen. Also spielte ich dann auf rechts, aber noch nicht richtig als Verteidiger. Wir liefen mit Dreierkette auf, davor fünf Mittelfeldspieler, da war ich also noch kein Außenverteidiger, sondern eher ein genereller Außenbahnspieler.
Thomas wusste wahrscheinlich, dass ich das spielen kann, und man sollte nicht vergessen, dass er mich auch in der zweiten Mannschaft trainiert hatte, wo er Trainer war, als ich nach Bremen wechselte. Er lernte mich als Spieler sehr gut kennen, ihm wird klar gewesen sein, welche weiteren Positionen ich spielen könnte, auch schon in der Zweiten. Ich denke, das war ihm von vornherein, also frühzeitig schon klar, dass ich mehrere Positionen bekleiden könnte. Es war also keine überraschende Erkenntnis für ihn.
Manche Spieler können das, andere wiederum nicht. Man kann natürlich jetzt nicht einfach Ailton nehmen und ihn als Außenverteidiger aufstellen oder als zentraldefensiven Mittelfeldmann. Er ist ganz klar ein Stürmer. Und manche Spieler sind eben so auf eine Position festgelegt.
Ich war also einfach in einer Situation, wo die Trainer wussten, dass ich mit meinen Stärken dazu in der Lage bin, mehrere Positionen gut zu bekleiden. Thomas wusste das bereits, bevor ich mich dann dort aufstellte, da gab es keinen besonderen Tag, es wurde nie gesagt, dass ich irgendwann mal in der Defensive auflaufen werde. Er wusste es und hat mich dann dort aufgestellt.
Wir hatten zuletzt mit Martin Harnik einen Stürmer, der von Thomas Schaaf ebenfalls als Außenverteidiger aufgeboten wurde, wo man eine Umschulung versuchte. Aber man konnte sehen, dass er zwar das Gefühl für den Offensivzweikampf hatte, aber im Spiel gegen den Ball große Probleme offenbarte, seinen Gegenspieler nicht stoppen konnte. Auch Training half nicht. Bei Dir ging beides problemlos, ist es wirklich so einfach: manche können es einfach, manche nicht?
Ja, absolut. Manche Spieler können das, andere haben im Spielverständnis ihre Stärken nur im Offensiven, nur einseitig. Ich war in der Lage, mich mental auf die Anforderungen der unterschiedlichen Positionen einstellen zu können, der Mannschaft da zu helfen, wo auch immer der Trainer mich aufstellte.
Es ist manchmal auch eine Einstellungssache, sich auf das einzulassen und das zu machen, was von dir in dem Moment in der Position verlangt wird. Natürlich trifft der Trainer eine gewisse Vorauswahl, weil er sehen kann, welche Stärken und Schwächen ein Spieler hat, wie er in gewissen Positionen auftreten könnte. Es ist aber auch so, dass du als Spieler dich auf neue Positionen auch wirklich einlassen musst, du musst davon überzeugt sein. Bist du das nicht, so ist das bereits ein großes Problem.
Du hast Dein erstes Bundesligaspiel bereits erwähnt. Auch, dass Du als Stürmer aufgelaufen bist. Kannst Du Dich an noch mehr Details Deines Debüts erinnern?
Ja, das vergisst man nicht so schnell. Den Tag des ersten Spiels für deinen Klub in der Bundesliga. Ich machte das Spiel auch noch gegen einen meiner besten Freunde, Kevin McKenna, der damals noch für Energie Cottbus spielte. Er hat damals auch sein Bundesligadebüt gefeiert. Und dazu waren wir beide die ersten Kanadier, die in der Bundesliga aufliefen, dann noch direkt gegeneinander. Das war ein Moment, auf den wir beide stolz waren, wir sind enge Freunde über die ganzen Jahre geblieben. Auch heute sind wir fast täglich in Kontakt. Das war schon wirklich etwas Besonderes, diese Möglichkeit damals bekommen zu haben, das vergesse ich nie. Auch heute gibt es immer wieder Tage, wo ich ihn in unseren Gesprächen daran erinnere, dass wir damals das Spiel gewonnen haben. Und er verloren.
Und dann erinnerst Du ihn noch daran, dass Du in dem Spiel sogar getroffen hast.
Daran erinnere ich ihn direkt nach dem Satz, dass wir gegen sie gewonnen haben. Dann sage ich ihm auch, dass ich sogar direkt gegen ihn getroffen habe, denn er hat zu der Zeit ja als Verteidiger gegen mich gespielt. Und wenn ich zurückblicke, dann hat er mich auch ein weiteres Tor gekostet. Und das lasse ich ihn nie vergessen, mehr noch, als das Tor, was zählte. Denn da gab es einen Moment, als er einen meiner Mitspieler, ich glaube, Raphael Wicky war es, foulte, wir in Ballbesitz blieben, der Schiedsrichter den Vorteil aber abpfiff. Genau in dem Moment, als ich gerade mein zweites Tor erziele. Daran erinnere ich ihn immer wieder: ich habe nicht nur gegen dich getroffen, du hast mich auch noch ein weiteres Tor gekostet!
Durch das Tor also nicht nur die Oberhand in dieser Diskussion, sondern auch noch regelmäßig einen Vorwurf dazu.
Ganz genau. Ich habe zwei, sogar drei Argumente für mich. Den Sieg, das Tor und das Tor, das er mich gekostet hat (lacht).
Kannst Du Dich an weitere Spiele erinnern, die Dir etwas bedeuten?
Ja, klar, an das größte Spiel für uns. Das war natürlich der 3-1 Sieg in München. Als wir nach, ich glaube, so 30 Minuten in der ersten Hälfte bereits 3-0 führten. Wir hatten da etwas Druck, weil wir kurz vor Saisonende bei einer Niederlage dann nur noch drei Punkte Vorsprung gehabt hätten. Und wenn wir gewonnen hätten, dann wäre der Vorsprung natürlich auf neun Punkte angestiegen und die Meisterschaft wäre unsere. Den Druck spürten wir, aber wir hatten viel Selbstvertrauen, diese Anspannung war eine gute, weil wir davor gegen Hamburg 6-0 gewonnen hatten. Das Spiel gab uns den Glauben, dass wir in München etwas Besonderes erreichen können. Ich denke, dass man merken konnte, dass wir sofort nach Anpfiff da waren. Nach der schnellen 3-0 Führung ging es dann nur noch darum, den Sieg festzuhalten, um als Meister vom Platz zu gehen. Dieses Spiel ist definitiv für mich etwas Besonderes, für meine Zeit in Bremen.
Kannst Du Dich denn auch noch an das Spiel eine Woche später gegen Bayer Leverkusen erinnern? Ivan Klasnic und einige andere Spieler hatten ihre Haare gefärbt, und man hatte beim Zuschauen nicht den Eindruck, als wenn da jeder von Euch die Party der Vortage schon ganz verkraftet hatte.
Wenn ich ehrlich bin, glaube ich das auch nicht. Es ist sehr schwer, wenn du weißt, du hast die Meisterschaft bereits gewonnen und es steht eine große Feier bevor, hast aber das Spiel direkt vor dir, obwohl die Liga bereits gewonnen ist. Wir wussten, dass es nicht leicht wird, und es war auch ein Problem, dass wir drei Wochen Vorbereitungszeit bis zum Pokalfinale hatten. Da weißt du, dass du also etwas Zeit hast, die Meisterschaft zu feiern. Und viele von uns holten damit ihren ersten Titel, wir hatten nicht wenige junge Spieler im Team, und wir waren da einfach nicht 100% vorbereitet auf ein Spiel gegen gute, wirklich sehr gute Leverkusener. Das sollte man nicht vergessen. Ich glaube, die hatten damals Berbatov und Franca vorne drin, Neuville kam von der Bank. Und er war zu dem Zeitpunkt noch ein Topspieler.
Bevor wir nachdenken konnten, stand es schon 0-3 nach, wie viel mag es gewesen sein, 15 Minuten Spielzeit? Wir sind dann nach der Pause noch einmal auf 2-3 herangekommen, mit einem dritten Treffer hätten wir das Spiel dann wohl noch gewonnen. Aber in der Phase fiel dann das vierte Tor für Leverkusen und bei uns war die Luft raus. Im Kopf waren wir bei der Präsentation der Meisterschale nach dem Spiel. Trotzdem: Hätten wir das 3-3 gemacht, wir hätten das Spiel dann noch gewonnen. Aber ganz ehrlich, wir waren einfach nicht 100% vorbereitet auf das Spiel. Und wenn man zurückschaut, dann kann man verstehen, warum manche dafür nicht bereit waren, das ist nachvollziehbar.
Es war auch nur ein kleiner negativer Punkt…
Ich erinnere mich noch, als wir in der Kabine standen, Ailton, Vale, Johan und ich standen zusammen. Ich schaute mich um, wie einige Spieler da saßen und ihre Haare färbten (lacht). Wir vier schauten uns an und ich sagte: „Ich glaube, dass wir heute wohl ein paaaaar Probleme bekommen werden“ (lacht). Wir haben ein bisschen darüber gespaßt, aber wir hatten auch eine gewisse Ernsthaftigkeit. Dazu hatten wir genug Erfahrung. Wir wussten auch, dass es für Leverkusen noch um etwas geht, uns war klar, dass das ein schweres Spiel werden wird. Aber ja, wenn ich zurückdenke, so ein leicht mulmiges Gefühl hatten wir dann doch, als wir in der Umkleide die ersten Mitspieler mit gefärbten Haaren sahen. Da war uns irgendwie klar, dass uns ein sehr sehr langer Nachmittag bevorsteht (lacht).
Das Gute aber war, dass direkt nach dem Spiel dann die Schale übergeben wurde.
Ja, das war es durchaus. Aber es wäre trotzdem schöner gewesen, wenn wir gewonnen hätten. Ich meine, wir waren zu dem Zeitpunkt 23 Spiele lang ungeschlagen, das wäre doch nett gewesen, wenn wir die Saison so abgeschlossen hätten, mit weiteren Siegen und bis zum letzten Spiel ungeschlagen. Man muss aber festhalten, dass es, wenn die Meisterschaft feststeht und man aber noch Spiele absolvieren muss, wirklich schwer ist. Es ist sehr schwer, sich dann weiterhin zu motivieren, die gleiche Motivation wie zuvor für die letzten Spiele aufzubringen. Das kann man niemandem vorwerfen, und das sollten wir auch rückblickend nicht, das ist einfach menschlich.
Du baust einfach eine riesengroße Anspannung über die Saison auf und das fällt dann alles auf einmal ab, wenn der Titel perfekt ist. Und dann kommt direkt danach ausgerechnet Leverkusen, eine offensive Mannschaft, gegen die wir in der Vergangenheit viele torreiche Spiele hatten. Das ist sehr schwer, da körperlich genug Energie zu haben, mental wieder die gleiche Motivation aufzubauen.
Wenn wir über die Einstellung reden, war die auch die größte Stärke der Double-Mannschaft?
Wir hatten eine gute Mischung in der Mannschaft, hatten sehr gute erfahrene Spieler. Speziell Johan Micoud, ein sehr guter Freund von mir, mit dem ich immer noch regelmäßig Kontakt habe. Er brachte seine Führungsqualitäten ein, hatte eine deutliche Gewinnermentalität, die er auf die Mannschaft übertrug. Ich denke, vor allem das war sehr wichtig für uns. Dann hatten wir Frank Baumann, unseren Kapitän. Ein ruhiger Anführer, aber ein solcher, der alles auf dem Platz gab. Er musste nicht viel sagen, wir wussten, was Sache ist. Es war gut, solche bodenständigen Persönlichkeiten zu haben. Wir hatten eine Achse in der Mitte: mit Baumi, Krstajic, Ismael und Micoud. Und dann natürlich vorne Ailton, der Tore wie am Fließband erzielte. Ich denke, der Erfolg ist darauf zurückzuführen, dass wir diese Achse von vorne bis hinten, in der Mitte der Mannschaft hatten. Fünf Spieler, die alle sehr wichtig für die beiden Titelgewinne waren.
Viele der Spieler aus der Zeit sagen zurückblickend, dass sie am liebsten mit Johan Micoud zusammengespielt haben. Als Letzter sagte Aaron Hunt dies, der auch mit Dir noch ein Jahr bei den Profis war. Würdest Du das auch so sagen und wie war Dein Verhältnis zu Johan während Deiner Jahre in Bremen?
Johan war ein wirklich sehr guter Freund von mir in Bremen. Ich denke, dass das auch so bekannt war. Wir hatten eine sehr gute Beziehung zueinander, nicht nur auf dem Platz. Wir haben auch außerhalb des Fußballfelds viel miteinander unternommen. Wir sind sehr oft zusammen weggegangen, haben mit unseren Familien gemeinsam etwas unternommen. Und wir sind weiter in Kontakt geblieben, sehen uns so oft wie möglich. Es ist natürlich jetzt etwas schwerer, wo wir jeweils am anderen Ende des Ozeans leben.
Ich wurde schon oft gefragt, wer der beste Spieler war, mit dem ich zusammengespielt habe. Und ich habe wirklich mit sehr vielen guten Spielern zusammenspielen dürfen, mit vielen fantastischen Jungs in Bremen, in Deutschland allgemein, auch in England, bei Tottenham. Aber wenn es darum geht, eine Mannschaft anzuführen, sie besser zu machen, das Spiel über einen Spieler laufen zu lassen, da gab es ein, zwei Spielzeiten, da war Johan wirklich auf dem absoluten Höhepunkt seiner Leistungen. Wir haben zu dem Zeitpunkt viele Spiele gewonnen, auch als ich dann ging, war Johan weiter auf sehr hohem Leistungsniveau. Von daher kann ich Aaron da nur zustimmen, dass Johan einer der besten Spieler war, mit denen ich in einer Mannschaft war, mit dem ich zusammenspielte.
Und ihr habt auch jetzt noch regelmäßig Kontakt?
Richtig, wir sind weiter in Kontakt.
Hast Du denn auch schon ein Paket mit Wein von seinen Weinbergen erhalten?
Ja, klar.
Im Ernst?
Ja, ja, aber natürlich. Ich habe eines bekommen. Ein wirklich sehr netter, spezieller Wein. Keiner, den du tagtäglich aufgetischt bekommst. Einer für ganz spezielle Anlässe. Und ein wirlich sehr guter Wein.
Erinnerst Du Dich noch an einen der meistdiskutiertesten Momente mit Johan, als er Fabian Ernst eine Kopfnuss verpasst hat?
Um ehrlich zu sein, haben wir darüber nicht gesprochen, über so etwas reden wir nicht. Solche Dinge passieren im Training ziemlich häufig. Das war einfach eine von vielen kleinen Auseinandersetzungen, die ich während meiner Laufbahn im Verlauf der Trainingseinheiten gesehen habe. Das siehst du sicher nicht jeden Tag, aber doch auch nicht selten. Wenn es dann mal kurz außer Kontrolle gerät, dann meist aus zwei Gründen: da sind zwei Spieler, die das Beste von ihrem Team verlangen. Die vollen Einsatz in jeder Trainingseinheit sehen wollen. Und die jedes Trainingsspiel gewinnen wollen, so wie auch jedes Ligaspiel. Das war es auch, was uns zur Meisterschaft verholfen hat, was uns zu einer Topmannschaft gemacht hat. Denn jeder war, sobald das Training begann, sobald das Spiel angepfiffen wurde, voll da. Die hohe Intensität war immer vorhanden, wir haben von uns gegenseitig das Abrufen der bestmöglichen Leistung verlangt. Und das hat dann manchmal zu solchen Situationen geführt, dass die Gemüter hochkochten. Aber das war nie etwas, worüber man großartig sprach, dass kommentiert wurde. Zurückblickend gab es neben der genannten Szene auch noch eine Handvoll weitere, über die aber medial nicht so berichtet wurde. Das liegt aber auch daran, wie bekannt die involvierten Spieler sind.
Aber es gab nie böses Blut in dieser Doublemannschaft?
Ich glaube, da waren noch ein oder zwei solcher Vorfälle während der Doublesaison. Die aber nicht in der Presse gelandet sind und die auch schnell abgehandelt waren. Es gibt manchmal ein paar etwas härtere Fouls im Training, ich erinnere mich an zwei, drei solcher Situationen. Aber wie gesagt, das war nie großes Thema bei uns. Damit geht man direkt auf dem Platz um. Zwei Spieler, die zuerst noch wütend aufeinander sind, sich aber im Nachhinein die Hand schütteln. Manchmal gibt es eine Entschuldigung von einem der beiden, manchmal von beiden. Und weiter geht es. Da war wirklich nichts, was es nicht vorher schon einmal zu sehen gab.
Reden wir weiter über Deine ehemaligen Mitspieler. Du hast einen von ihnen schon erwähnt, Ailton. War er der verrückteste Teamkollege, den Du je hattest?
Ich würde ihn jetzt nicht als verrückt bezeichnen. Er war ein guter Freund von mir, wir haben bei Auswärtsspielen oft das Zimmer geteilt. Wir haben lange zusammengespielt, und daher kann ich sagen, dass es mir manchmal vorkommt, als ob die Person eine ganz andere ist, als sie in der Öffentlichkeit, von Medien, von Fans wahrgenommen wird. Da ist „verrückt“ unpassend, so war er nicht. Manche Spieler kommen sicher in den Medien anders herüber. Gerade wenn Ailton mit der Presse sprach, gab er ein anderes Bild als die Person ab, die ich kannte. Also, ohne Frage, auf der Liste meiner verrücktesten Mitspieler ist er sicher nicht oben zu finden.
Aber auf der Liste der lustigsten?
Auf jeden Fall, definitiv einer der lustigsten (lacht). Da stimme ich Dir sofort zu.
Hast Du schon mal das Video von Euch beiden bei Youtube gesehen, als Du mit Ailton etwas für Werder Bremen zu Weihnachten aufnehmen sollst?
Oh ja, das wurde mir schon sehr häufig gezeigt (lacht). Ich habe es vor Kurzem erst wieder gesehen. Wirklich schöne Zeiten, mit einer Mannschaft, die super miteinander auskam. Da gibt es nicht nur klasse Erinnerungen von der Zeit auf dem Spielfeld, manche der schönsten Momente waren außerhalb des Platzes. In Hotels, während der Busfahrten. Das sind einfach solche Elemente, Situationen, die eine Mannschaft stark machen, das Entscheidende ausmachen.
Wenn wir über Spaß auf und neben dem Platz reden, erinnert man sich sofort an einen anderen Spieler, Ivan Klasnic. Hat er Dich auch einmal hereingelegt?
Ivan war er ein Supertyp. Jemand, der grandios in der Kabine war, weil er ein sehr lustiger, witziger Mensch ist. Starke Persönlichkeit, stark für die Mannschaft. Er spielte eine große Rolle für uns, hatte im Doublejahr eine fantastische Saison, war zu der Zeit einer der besten Stürmer der Liga. Auf und neben dem Platz gibt es da nicht ein schlechtes Wort, das ich über ihn verlieren kann. Ein lustiger Kerl, es war gut, ihn als Teamkollegen zu haben, und er passte gut zur Mannschaft. In der Kabine, im Bus, da konnte er Dich zu jeder Zeit zum Lachen bringen.
Als Du nach Bremen kamst, da soll es eine Art Kooperation oder Austausch mit Deinem Exklub gegeben haben. Kannst Du Dich noch erinnern, wie der Transfer damals zustande kam?
Zu der Zeit war ich für zehn bis zwölf Tage zum Probetraining nach Bremen gekommen. Wolfgang Sidka war damals Trainer der Profimannschaft, bei der ich den Großteil der Zeit mittrainiert hatte. Nach diesen zwölf Tagen Training und einem Testspiel wollten sie mich dann verpflichten. Es war auch bekannt, dass ich eine Ausstiegsklausel in meinem Vertrag hatte, so dass ich meinen Verein in Toronto sofort verlassen konnte. Es war also leicht, aus dem Vertrag zu kommen, und wir hatten diese Klausel extra für solche Situationen eingearbeitet. Dass ich für einen europäischen Profiverein den Klub verlassen kann. Für eine bestimmte Summe, aber wirklich keine sonderlich hohe. Als feststand, dass der Verein mich wollte, war es dann relativ einfach, zu einer Einigung für alle Seiten zu kommen.
Wie kam es dazu, dass Du zum Probetraining eingeladen wurdest? Wie haben sie von Dir als Spieler in Toronto etwas mitbekommen?
Manchmal gibt es Kontakte, die für den Verein hier und da arbeiten. Oder einfach Scouts, die sie über diverse Spieler in den unterschiedlichsten Regionen der Welt informieren. Und sie haben dann von irgendjemandem von mir gehört, Informationen erhalten und beschafft und so entstand dann Interesse an mir. Dann bin ich rübergeflogen nach Deutschland und der Rest ist Geschichte.
Warst Du vorher schon einmal in Deutschland?
Nein, das war das erste Mal.
Hast Du Dich bei jemandem, vielleicht von Deinem Verein, über Europa informiert?
Nein, nicht wirklich. Ich meine, es war sowieso eine Situation, die ich gesucht habe, ich wollte in Europa spielen. Zu der Zeit war ich natürlich nicht sonderlich wählerisch, was das Land und den Verein anging, ich wollte einfach unbedingt in Europa spielen. Schon als ich jung war. Als sich dann die Möglichkeit ergab, nach Deutschland zu wechseln, zur zweiten Mannschaft von Werder, einem Verein mit einer solchen Vergangenheit, das war eine fantastische Möglichkeit für mich. Das war schon etwas Besonderes, über den Teich zu fliegen und die Chance zu bekommen.
Hast Du Dich schnell an den Lebensstil, die neuen Umstände hier gewöhnt? Oder gab es einen Kulturschock, vielleicht auch einmal Heimweh?
Nein, nur ein bisschen zu Beginn. Wenn ich heute von jungen Spielern gefragt werde, wie das so ist, über den Teich zu wechseln, dann ist das etwas anderes. Mit den ganzen Sachen wie den Handys, Skype, der heutigen Computertechnologie, wie man mit Menschen sofort kommunizieren kann, obwohl sie tausende von Meilen entfernt sind. Das macht es deutlich einfacher als vor 15, 16 Jahren, als ich nach Deutschland kam. Die Spieler haben es jetzt leichter, müssen aber trotzdem noch mental stark sein. Auch wenn es einfacher ist zurechtzukommen, musst Du immer noch voll bei der Sache sein, nach Erfolg streben, die richtige Einstellung haben. Sonst fühlst du dich wohl, schaffst es aber sportlich nicht. Es gibt sicher auch immer Momente, wo es nicht so einfach ist und man sein Zuhause vermisst, aber wenn man diszipliniert, zielstrebig genug ist, dann geht man weiter seinen Weg.
Du hast dann also den Wechsel nach Deutschland vollzogen, zweieinhalb Jahre bei der Zweiten gespielt. Heutzutage ist das fast undenkbar, dass Talente für fast drei Spielzeiten die Geduld aufbringen. Hast Du jemals daran gedacht, den Verein zu verlassen, wusstest Du auch während der Jahre, dass Du es bei Werder noch zu den Profis schaffen wirst?
Ich habe die zweieinhalb Jahre absolviert, war 20, als ich dort anfing. Mit 22 kam mein Debüt, in der dritten Saison. Das ist okay. Aber heutzutage glaube ich nicht, dass das häufig passieren wird. Das ist auch einer der Gründe, warum die deutsche Liga so stark geworden ist, weil so viele junge Spieler schon früh stark genug sind. Man sieht nicht mehr häufig 22-Jährige ihr Bundesligadebüt feiern, das gilt schon fast als zu alt, um dort zu spielen.
Und wenn man 15, 16 Jahre zurückblickt, da galt man mit 22 Jahren noch als sehr jung, es gab nicht viele 22-Jährige, die damals in Deutschland Stammspieler in der Bundesliga waren. Auch nicht in Bremen. So ist Fußball einfach, das verändert sich über die Zeit, über die Generationen. Wenn man heute 22 ist und immer noch nicht sein Debüt bei der Ersten gefeiert hat, muss man schon wechseln oder wird nie in der Bundesliga landen. Wenn wir noch weiter zurückgehen, ich glaube, Dieter Eilts war damals noch älter bei seinem ersten Einsatz und seinem Durchbruch zum Stammspieler. Miroslav Klose kam auch spät bei Kaiserslautern zu Einsätzen und schau Dir an, was aus ihm geworden ist. Das kann man nie voraussagen. Auch, wenn heute schon eine andere Zeit ist und man so etwas wohl seltener sehen wird.
Du hast also wirklich in den zweieinhalb Jahren in der zweiten Mannschaft nie an einen vorzeitigen Abschied gedacht?
Naja, man war schon einige Male etwas frustriert. Du siehst einige Spieler, Teamkollegen in der zweiten Mannschaft, den Sprung nach oben machen. Sie bekommen ihre Chance, können sich etablieren. Da denkst du schon, wann kommt meine Chance, wann kommt sie endlich? Wenn diese Gedanken kommen, sollten zwei Dinge passieren: du musst weiter daran glauben, dass es passieren kann, und du hast auch Argumente dafür, denn schließlich hat der Verein ja gerade anderen Spielern die Chance gegeben, setzt also auf junge Spieler aus der Zweiten. Und du musst noch hungriger werden, um zu zeigen, dass auch du es verdient hast. Vielleicht mag es leichter sein, zu einem Verein in eine untere Liga oder zu einem kleineren Verein zu wechseln, aber die Chance bei deinem größeren Verein ist mehr wert. Wenn du es hier schaffst, dann kannst du eine große, lange Karriere hier haben. Das hält dich positiv, das lässt dich hungrig bleiben.
War Thomas Schaaf sowas wie ein Schlüssel zur ersten Mannschaft, weil er Dich bereits vorher in der zweiten Mannschaft trainiert hatte?
Ja, ich denke schon. Ich meine, er brachte mich quasi zu Werder. Auch wenn er damals Trainer der zweiten und nicht der ersten Mannschaft war. Er hat darauf gedrängt, dass der Verein mich verpflichtet. Er sah etwas in mir, das er gemocht hat, und er war meiner Meinung nach einer der entscheidenden Gründe, warum ich in Bremen gelandet bin. Und es war natürlich hilfreich, dass er dann als Trainer der Profis meine Qualitäten kannte. Es gab mir auch den Glauben, dass ich meine Chance bekomme, weil der Profitrainer mich so gut kannte. Ich musste nur hart arbeiten, mich weiter so entwickeln wie unter ihm. Ich muss ihm da meine Dankbarkeit aussprechen, er hat einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich eine erfolgreiche Karriere hatte, dass ich überhaupt die Chance bekam. Aber auch dann musst du diese nutzen, in der Vorbereitung überzeugen. Nicht nur ihn, sondern alle im Verein, dass du bereit bist, jetzt den Sprung nach oben zu machen.
Wie hast Du Thomas Schaaf in Erinnerung, als Trainer, aber auch als Mensch?
Ich habe den allergrößten Respekt vor ihm. Ich bewundere ihn als Trainer und auch als Menschen. Er ist ein großartiger Familienmensch, hat eine fantastische Familie. Das, was du siehst, bekommst du auch. Ein sehr integrer Mensch, niemals heute so und morgen anders. Einfach jemand, dem ich den größten Respekt zolle. Sowohl im professionellen als auch im menschlichen Bereich.
Es gibt da ja dieses öffentliche, mediale Bild von ihm, bei dem davon ausgegangen wird, dass er wenig mit den Spielern spricht, weil er nicht so extrovertiert ist, wenn er sich öffentlich äußert. Hat er denn während Deiner Zeit in Bremen mit Dir und Deinen Mitspielern viel gesprochen?
Er hat ein gutes Verhältnis zu seinen Spielern. Ich denke, dass er mit seinen Spielern spricht, wenn er den richtigen Augenblick dafür sieht. Wenn er spürt, dass jemand mehr Zuspruch benötigt, dass mit ihm gesprochen werden sollte. Wenn jemand ein bisschen mehr angetrieben werden muss, das spürt er schon sofort. Es kam vor, dass er auch einmal ein oder zwei Wochen nicht direkt mit dir sprach, soll heißen, nicht mit dir zusammensaß, unter vier Augen sprach. Wenn er eben meinte, dass dies nicht nötig ist. Und es eben auch von deiner Seite aus nichts zu besprechen gab. Aber seine Tür war immer, wirklich immer, offen. Jeder Spieler war ständig willkommen, anzuklopfen, mit ihm zu sprechen, er hat sich immer Zeit genommen. Und so hat er andersherum auch agiert. Wenn er sah oder spürte, dass er mit einem Spieler ein paar Worte wechseln sollte, dann hat er sich Zeit genommen oder es ging in sein Büro. Man konnte ihn häufig sehen, wie er mit jemandem in sein Büro ging, mit den Spielern sprach. Der Umgang mit der Presse lässt nicht auf den Umgang mit den Spielern schließen, der ist anders.
Er hat nicht wenige ausländische Profis zu Höchstleistungen gebracht. Nicht nur Dich, auch Ailton, Diego, Naldo, natürlich Micoud. Sie allen konnten, wie Du, kein Deutsch, als sie hierher kamen. Wie in aller Welt war es möglich, dass er Euch so stark machen konnte, obwohl doch gerade zu Beginn keine direkte Konversation wegen der Sprachhürde möglich war?
Was mich angeht, war ich einer der Glücklichen, weil Thomas Englisch sprach und auch immer noch ziemlich gut spricht. Auch einige der anderen Trainer und Spieler sprachen ein bisschen Englisch, also war es für mich zu Beginn nicht so schwer. Aber das ändert nichts daran, dass du so schnell wie möglich deutsch lernen musstest. Du kannst nicht einfach weiterhin Englisch sprechen, wenn Deine Mannschaftskameraden auf dem Spielfeld, beim Training Deutsch sprechen. Du musst dich verständigen können. Gerade während des Spiels gibt es viele Situationen, die gehen so schnell, dass du nicht erst nachdenken kannst, sondern die Sprache relativ gut beherrschen solltest.
Es ist daher an den Spielern, die Sprache schnell zu lernen, sich auch dem Trainer dort anzupassen. Es gibt, wie bei mir, dann auch Situationen, wo man glücklich sein kann, dass man sich sofort in Englisch verständigen konnte und somit für eine gewisse Zeit erst einmal auf der sicheren Seite war. Das sah anders aus, wenn jemand zu Beginn nur Spanisch oder Portugiesisch sprach, so wie einige der Spieler, die wir hatten. Ailton hatte zum Beispiel zu Beginn Probleme, sich ins Team zu integrieren. Weil immer der Übersetzer dabei war, weil er kein Englisch oder eine andere Sprache konnte, die jemand von uns sprach. Das machte es zu Anfang schwer für ihn, bzw. für alle Spieler, die nur eine Sprache konnten und niemanden hatten, mit dem sie sich innerhalb der Mannschaft verständigen konnten.
Ein ehemaliger Teamkollege von Dir, Frank Baumann, hat jetzt ein paar Aufgaben eines Sportdirektors, ist in die Zusammenstellung der Mannschaft involviert. Hast Du schon über kanadische Talente mit ihm gesprochen?
Baumi ist einer derjenigen, mit denen ich weiterhin Kontakt hatte. Wir haben uns immer mal wieder unterhalten, wenn auch nicht in den letzten Monaten. Es freut mich zu sehen, dass er im Verein eine solche Rolle hat, dem Klub helfen kann. Hoffentlich macht er einen großartigen Job und hilft mit, den Verein wieder in die richtige Richtung zu schieben, ihn zu etwas Speziellem zu machen. Zu etwas Erfolgreichem, wie unter ihm als Kapitän, da hat er dem Verein nach oben geholfen. Und, wie gesagt, wir sind noch in Kontakt.
Meinst Du denn, dass wir in der Zukunft noch einmal einen Kanadier bei Werder sehen werden? Gibt es derzeit Spieler, vor allem im jüngeren Bereich, die das Potenzial haben?
In den letzten Monaten habe ich hier ein paar gute Spieler gesehen, aber die meisten spielen mit 19, 20 Jahren bereits für größere Klubs wie hier in Toronto oder gar in Übersee, auch bei kleineren Klubs in Deutschland. Eben generell schon in Europa. Ich glaube, da sind auch ein, zwei Talente gerade in Deutschland, bei Fortuna Düsseldorf spielt einer von ihnen.
Wenn wir da zu den noch Jüngeren schauen, bei den 15-, 16-Jährigen, da gibt es schon ein paar talentierte Jungs. Man muss sehen, wie die sich entwickeln. Werder ist aber ein Verein, der immer bereit ist, Spieler aus aller Welt zu sich zu holen. Da ist man keineswegs zurückhaltend, einen solchen Schritt zu machen. Wenn ich da jemanden sehe, der gut genug ist, der auch bereit ist, und wo ein, zwei Anrufe weiterhelfen könnten, dann würde ich das machen. Wenn derjenige dann auch wirklich das Besondere an Talent zu bieten hat und die Chance hat, dem Verein später auch wirklich zu helfen.
Darauf wollte ich hinaus. Nachzuhaken, ob wir auf Dich zählen können, wenn Du irgendwo einen talentierten Spieler siehst, der bei uns spielen könnte.
Ja, wenn sich die Situation ergeben sollte. Ich meine, derzeit bin ich nicht täglich auf den Plätzen auf Spielersuche, aber wenn mir jemand auf meinem zukünftigen Weg begegnen sollte, der mir auffällt, großes Potenzial hat, dann könnte das passieren.
Ein paar Jache nach Dir versuchte Werder noch einmal, Deine Erfolgsstory zu wiederholen, als ebenfalls von Toronto Lynx Maycoll Canizales-Smith nach Bremen kam. Sagt Dir der Name noch etwas?
Ja, ich erinnere mich an ihn. Es ist eigentlich eine Schande, dass aus ihm kein großer Spieler geworden ist. Er galt als Riesentalent in Kanada, aber er war ein anderer Spielertyp als ich. Ein Linksfuß mit guter Schnelligkeit, einem guten Schuss. Es war ein Spieler, den Thomas sehr mochte. Er sah ihn, als dieser noch jung war, und es ist wirklich tragisch, dass das nicht geklappt hat. Ich wusste, dass Thomas ihn unbedingt nach Bremen holen wollte, also kam er dann irgendwann zur zweiten Mannschaft. Aus irgendeinem Grund hat es dann nicht sollen sein für ihn, aber er hatte Potenzial. Ich habe aber keine Ahnung, was er heute macht.
Er spielt derzeit noch in einer unteren Liga in Deutschland.
Er spielt immer noch? In Deutschland? Das wusste ich wirklich nicht.
Erinnerst Du Dich denn noch an Deinen Abschied aus Deutschland, an die „Danke Paul“-Plakate?
Klar, daran erinnere ich mich noch. Das letzte Heimspiel und als Verabschiedung gab es das dann, das hat mich sehr überrascht und bleibt unvergesslich für mich. Das war fantastisch, ich bin auch immer noch stolz darauf. Dass die Fans bei der letzten Möglichkeit sich die Zeit genommen hatten, etwas für mich vorzubereiten, das war schon etwas Besonderes.
Hast Du denn auch ein paar Erinnerungsstücke aus Deiner Bremer Zeit im Haus aufgehängt? Ein Trikot, ein Bild, irgendwas?
Ich bin nicht wirklich der Typ, der so etwas aufhängt, aber meine Frau hat entschieden, dass doch ein, zwei Sachen hier und da zu sehen sind. Mein Fall ist das nicht so. Aber natürlich habe ich hier einiges an Erinnerungsstücken aus meiner Zeit, wo ich noch gespielt habe, aber ich hänge sie nicht auf. Ich weiß auch nicht genau warum, es ist einfach so. Wer weiß, vielleicht öffne ich eines Tages ein paar der Kartons und hole ein bisschen was heraus.
Es bietet sich bei Dir nicht mal das stereotypische Bild von Trophäen auf dem Kaminsims?
Nein, nein, wirklich nicht.
Wirklich? Okay.
Nein, da ist wirklich nichts (lacht). Es ist einfach so, dass da nichts steht, ich weiß auch nicht genau, warum. Ich habe, wie gesagt, einige Erinnerungsstücke. Vielleicht öffne ich dann eines Tages nicht nur ein paar Kartons, sondern vielleicht gibt es dann auch einen Extraraum, der dafür ist. Aber momentan noch nicht. Und so viele Sachen habe ich auch nicht.
Bei Gesprächen mit ehemaligen Spielern kommt es häufig vor, dass sie es genießen, noch einmal in den Erinnerungen zu schwelgen, aber manche werden auch leicht melancholisch, weil sie die Momente vermissen, am liebsten ewig weitergemacht hätten. Wie hast Du das bisher wahrgenommen?
Ich denke, dass die Augenblicke speziell waren und du musst sie als Erinnerungen sehen, es würdigen, dass du sie haben konntest. Aber auch akzeptieren, dass sie nicht noch einmal wieder passieren. Was mich angeht, weiß ich noch nicht, was alles noch im Fußball auf mich zukommt, aber trotz allem bewahre ich mir meine Erinnerungen. Gerade die schönen Momente passieren nur einmal im Leben, du musst sie ausleben und zu schätzen wissen, wenn sie passieren. Du kannst sie nicht wiederholen, deswegen sollte man darüber auch gar nicht nachdenken, sondern lieber hier und da an diese schönen Momente denken und sich darüber freuen. Ich denke nicht täglich zurück, aber ich bin schon stolz darauf und freue mich auch, über diese Zeiten und Augenblicke zu sprechen.
Viele Spieler sagen dasselbe, wenn sie aufhören. Dass sie eine gewisse Leere spüren, dass ihnen etwas fehlt. Ist es bei Dir auch so, wirst Du den Fußball wieder und wieder vermissen oder ist es bei Dir anders, weil Du zuletzt keine Mannschaft mehr und Dich an das Leben nach der Spielerkarriere schon gewöhnt hattest?
Absolut. Ich denke, dass mir das schon geholfen hat. Das erste Jahr, die 14 Monate Reha, da denkt man nicht daran, dass man nie mehr spielen wird. Eher, wann man wieder fit ist. Es war für mich keine Situation, wo ich von einem Monat auf den anderen mich daran gewöhnen musste. Für die Spieler, die so aufhören, für die ist das natürlich schwerer. Ich kann das komplett nachvollziehen, dass man eben noch täglich trainiert hat, spielte und wenige Wochen später ist da nichts mehr. Das ist schwerer zu verarbeiten. Bei mir war es zum Glück einfacher.
Und damit sind wir am Ende des langen Gespräches. Großen Dank dafür.
Danke ebenfalls.
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